Markt & Sourcing

Unwuchten im IT-Sourcing

von Michael Witeschnik

Das Management von Angebot und Nachfrage stellt für Einkäufer und IT-Verantwortliche eine zunehmende Herausforderung dar, denn das fragile Gefüge kann schnell aus dem Gleichgewicht geraten. Wir zeigen die wichtigsten Gründe für IT-Sourcing-Unwuchten. 

Während die Herausforderung im IT-Sourcing früher darin bestand, einen großen Teil der IT kostengünstig außer Haus zu geben, müssen Einkaufsmanager und IT-Verantwortliche heute ein kleinteiliges System ausbalancieren: Es gilt, eine Vielzahl von Verträgen und IT-Services aufeinander abzustimmen, um Supply, Demand und Budget im Gleichgewicht zu halten. Und alles muss in Verträgen und Service Levels über verschiedene Laufzeiten festgezurrt werden. 

Die Supply-Seite setzt sich aus verschiedenen internen und externen Dienstleistern sowie Ihren Leistungen zusammen, angefangen von den eigenen Legacy-Lösungen bis zu as-a-Service-Modellen aus der Public Cloud. Hinzu kommen die heterogenen Anforderungen der Fachbereiche sowie die Prioritäten der Nutzer und Stakeholder bezüglich der IT-Produkte – ein weites Feld, das sowohl die Corporate-IT als auch die Produktions-IT beinhaltet.  

In der Mitte muss der Service-Integrator umfassend (End-2-End) dafür sorgen, dass alles zur vollsten Zufriedenheit der Beteiligten beauftragt, geleistet, kontrolliert, abgerechnet und kommuniziert wird. Treiber sind Demand Forecasting, Kundenzufriedenheit, Vertragsgestaltung sowie Compliance beziehungsweise Audit-Management. Hinzu kommen Enterprise-Architektur, Financial Management, Risiko-Management sowie die Steuerung. Unternehmen leisten diese Aufgaben entweder selbst, oder sie vergeben sie an einen externen Dienstleister beziehungsweise an einen Provider als Generalunternehmer.  

In einem immer noch sehenswerten Werbespot hat der IT-Dienstleister EDS im Jahr 2000 derartige Herausforderungen persifliert – mit einem großen Kern Wahrheit. Denn es ist nicht überraschend, dass in IT-Sourcing-Konstellationen Unwuchten auftreten, wenn Anforderungen und Leistungen nicht übereinstimmen. Und man kann das Gefühl bekommen, dass die Entwicklung nicht linear mit der Zahl der Sourcing-Verträge ansteigt, sondern exponentiell.

 

An diesen neuralgischen Punkten bilden sich nach unserer Erfahrung die acht größten Lücken im IT-Sourcing:

  1. Anforderungs-/Erwartungslücke: Sie basiert meist auf einer ungenügenden Bedarfsermittlung, die nicht zur tatsächlichen Erwartung der Auftraggeber passt. Beispiel: Die Erreichbarkeit des IT-Supports passt nicht zu der Anforderung der Fachbereiche.

  2. Definitionslücke: Hier passen Serviceanforderung und -beschreibung in der Realität nicht zusammen. Eine Anforderung wurde erhoben aber nicht vollständig Ende zu Ende und möglicherweise viel zu technisch für den Kunden beschrieben.

  3. Leistungslücke: Sie öffnet sich zwischen Vertrag und Erbringung – die Leistung ist vertraglich sauber geregelt, wird aber im realen Leben so nicht erbracht.

  4. Wahrnehmungslücke: Hier öffnet sich ein Spalt zwischen erbrachter und wahrgenommener Erbringung. Beispiel: “Das Programm ist sooo langsam, da kann ich mir einen Kaffee zwischendurch holen” - hier helfen objektive Bewertungen und Relativierungen zum Markt

  5. Innovationslücke: Sie bildet sich, wenn der Kunde realisiert, dass der „eingeschwungene Service“ auf Dauer angelegt ist. Beispiel: Das Service-Design wird zum Stichtag eingefroren, technische Innovationen wie KI werden im laufenden Vertrag nicht automatisch berücksichtigt.

  6. Marktlücke: Sie entsteht durch den Vergleich von Preisen und Leistungen im „Markt“, was die Erwartungen beeinflusst. Beispiel: „Ein gutes Notebook kostet im Handel 699 Euro.“ oder “Der defacto-Marktstandard hinsichtlich Verfügbarkeit für diesen Managed Service ist 7x24 Stunden”.

  7. Steuerungslücke: Sie entsteht durch ungeklärte Verantwortlichkeiten, weil etwa Prozeduren nicht sauber geklärt sind. Beispiel: Wie oft sich das Steuerungsteam trifft, wer welche Aufgaben übernimmt, wann an wen eskaliert wird.

  8. Kommunikationslücke: Sie zeigt sich tendenziell auf der persönlichen Ebene, wenn das Sender-Empfänger-Modell gestört ist und eine Nachricht anders ankommt als gewollt oder sogar gar nicht. Ursachen können beispielsweise unterschiedliches Vorwissen wie Fachbegriffe und Akronyme, kulturelle Eigenheiten oder fehlende Aufmerksamkeit sein.

An den Lücken zeigt sich: Am häufigsten treten Probleme auf, wenn Kommunikation, Annahmen, Erwartungen und Vertragsgestaltung nicht transparent und präzise erfolgen. Je größer die Grauzone gelassen wird, desto mehr Spielraum öffnet sich für anschließende Diskussionen. Auftraggeber müssen im Service-Design und spätestens in der Ausschreibung die möglichen Lücken berücksichtigen und verhindern, dass sie sich öffnen.  

Michael Witeschnik

Michael Witeschnik

Der Wirtschaftsinformatiker Michael Witeschnik hat über 25 Jahre Erfahrung im IT-Sourcing und kennt beide Seiten des Schreibtisches: Anforderungen aus Kunden- bzw. Anwendersicht sowie die entsprechenden Herausforderungen der Sourcing-Partner / -Provider. Er ist Director bei Metrics.

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