Markt & Sourcing
Risiken aus dem Vendor Lock-in reduzieren
von Gerold Hauer

Nach der Übernahme von VMware durch Broadcom wurden Kunden mit neuen Preis- und Lizenzmodellen konfrontiert. Der Vendor Lock-in macht einen schnellen Lieferantenwechsel unmöglich. Wie können sich Unternehmen gegen Preissteigerungen wichtiger Lieferanten wappnen?
„Never change a running system“ – dieser Grundsatz der IT kann zu Problemen führen, wenn eine Organisation über Jahre in die Abhängigkeit zu einem Lieferanten hineinwächst – Vendor Lock-in genannt. Denn manchmal gelingt es aus verschiedenen Gründen nicht, die Interessen beider Geschäftspartner im Gleichgewicht zu halten: Wenn der einen Seite beispielsweise nicht am nachhaltigen Win-Win, sondern lediglich an der Erreichung ihrer finanziellen Ziele gelegen ist.
Zu den üblichen Preisschrauben zählen neue Lizenz- oder Abo-Modelle, veränderte Kalkulationen (Rechenkerne statt Sockets) und umformulierte Supportverträge. Meist bei Produkten, von denen Kunden technisch abhängig sind und deren Ersatz durch eine Alternative enorm hohe Kosten oder Betriebsunterbrechungen verursachen würde. Klar ist, dass derartige Änderungen im Einklang mit bestehenden Verträgen erfolgen. Dennoch werden viele Kunden von der Entwicklung überrollt, wenn die Fristen sportlich kurz sind und sich der entsprechende Budgetposten im nächsten Fiskaljahr plötzlich mehr als verdoppelt.
Beispiel 1: Kyndryl-Mainframe
Im Nachgang der Abspaltung von IBMs Outsourcing-Aktivitäten zu Kyndryl folgten signifikante Auswirkungen auf die Mainframe-Konditionen der Endkunden. Als Unternehmen außerhalb des IBM-Konzerns verlor Kyndryl die bevorzugten „internen“ Konditionen, was teils massive Preiserhöhungen nach sich zog. Vor allem Kunden mit kleinen und mittleren Umgebungen wurden mit einer Vervielfachung ihrer Kosten konfrontiert. Langjährige Bestandskunden kommen von ihrem Mainframe-Anbieter kaum los, da auf Mainframe-Umgebungen meist unternehmenskritische Applikationen betrieben werden, deren Verlagerung oder Migration nur im Rahmen hochkomplexer sowie riskanter Projekte umgesetzt werden kann. Das Feld der Mainframe-Alternativen ist zudem äußerst klein, sodass die Möglichkeiten eines Lieferantenwechsels eingeschränkt sind.
Beispiel 2: VMware / Broadcom
Der Siegeszug der Server-Virtualisierung steht in engem Zusammenhang mit Produkten von VMware, die sich im Laufe der Jahre eine marktbeherrschende Stellung aufgebaut haben. Unmittelbar nach der Übernahme von VMware durch Broadcom wurde Ende 2023 das Lizenzmodell umgestellt. Als Konsequenz daraus steigen die Preise für VMware-Produkte vor allem für kleine und mittlere Installationen signifikant. Nutznießer des neuen Modells sind sehr große IT-Organisationen, die leistungsfähige, physische Server in Kombination mit der gesamten VMware-Produktpalette einsetzen.
Die Ablösung der Server-Virtualisierungslösung ist denkbar komplex. Es sind zwar alternative Lösungen sowohl als lizenzierte Produkte (z.B. Nutanix, Microsoft Hyper V) als auch im Open-Source-Umfeld (XCP-NG, Proxmox) verfügbar. Solche Migrationsprojekte bergen wegen der zahlreichen Abhängigkeiten jedoch hohe Risiken, erfordern dadurch umfangreiche Vorarbeiten und Planung und sind deshalb sehr teuer – für ein Projekt, das aus Anwendersicht einzig den Status quo aufrechterhalten soll. Dennoch erwog laut der Umfrage zur IT-Agenda 2025 (von Metrics und dem Voice-Verband im Herbst 2024) rund die Hälfte der Anwender einen Wechsel des Anbieters.
Beispiel 3: IBM et al.
Zwischen 2015 und 2025 sind die Preise für IBM-Software um fast 80 Prozent angestiegen, hat eine IBM-Partnerfirma berechnet. Recht kräftig langte der US-Konzern demnach 2023 zu, hier wuchsen die Preise um 24 Prozent. In den Folgejahren betrug der Anstieg jeweils sechs Prozent. Die allgemeine Inflationsrate in den drei Jahren lag in Deutschland zwischen gut zwei und knapp sechs Prozent. Microsoft 365 (für Privatkunden) wurde 2025 um den KI-Chatbot Copilot erweitert und im Zuge dessen rund 30 Prozent teurer. Auch Oracle (Java) sowie Adobe haben an der Preisschraube gedreht.

Wie sich das Lieferantenrisiko in der IT reduzieren lässt
Diese Beispiele zeigen das hohe Risiko für Kunden durch die Abhängigkeit von proprietären Technologien. Allerdings gibt es einige Optionen, um die Situation etwas zu entschärfen.
Rechtzeitiger POC alternativer Lösungen
Auch wenn man mit dem aktuell eingesetzten Produkt zufrieden ist, gilt: Vorbeugen ist besser als heilen. Es empfiehlt sich daher, alternative Lösungen ohne Zeitdruck im Proof of Concept (POC) auf ihre produktive Einsatzfähigkeit zu testen, damit im Ernstfall zumindest keine Zeit mehr mit der Auswahl der Ersatzlösung aufgewendet werden muss. Sofern die Personaldecke nicht allzu dünn ist, kann das IT-Team damit zudem seinen Forschungs- und Innovationstrieb ausleben. Viele Hersteller unterstützen POCs durch die Bereitstellung einer temporären, kostenlosen Teststellung. Bei einem erfolgreichen Testlauf lässt sich die Entscheidung über den tatsächlichen Einsatz durch die Berechnung der zukünftigen Kosten auf Basis aktueller Marktdaten vorbereiten.
Zwei-Vendor-Strategie
Ein verbreiteter Ansatz ist der Betrieb von zwei Umgebungen auf unterschiedlichen Plattformen. Damit ist gewährleistet, dass im Ernstfall sowohl Ressourcen als auch Know-how vorhanden sind und man sich auf die technischen Herausforderungen der Migration fokussieren kann. Dem gegenüber müssen in der Regel Mehrkosten in Kauf genommen werden, da sich der Steuerungsaufwand verdoppelt und nicht mehr alle Skaleneffekte gehoben werden können. Bei der Entscheidung über das optimale Szenario können auch hier aktuelle Marktdaten herangezogen werden.
Vorrangiger Einsatz von Open-Source-Lösungen
Quelloffene Programme bieten zwar in der Regel nicht jenen überbordenden Funktionsumfang, den Betriebskomfort und die Support-Qualität wie Herstellerprodukte. Dafür sind die wirtschaftlichen Interessen überschaubar. Der erfolgreiche Einsatz solcher Lösungen ist jedoch eng mit dem Know-how und der Bereitschaft der IT-Expertinnen und -Experten verbunden, sich in die entsprechende Community einzubringen.
Auslagerung der IT in die Cloud
Dieser Schritt erscheint auf den ersten Blick als Ausweg, denn Cloud-Services sind in der Regel unmittelbar und uneingeschränkt verfügbar. Sofern bereits entsprechende Konzepte hinsichtlich Security und Zugriffsberechtigung vorliegen, kann eine Migration in die Cloud direkt erfolgen (siehe Grafik). Doch hier lauert die nächste Abhängigkeit – diesmal vom Cloud-Provider, denn der Weg aus der Cloud zurück ist kostspielig und mühsam. Hierbei unterstützen Vergleichsrechnungen zum sinnvollen Einsatz von Cloud-Services sowie fundierte Daten aus bereits erfolgten Projekten.
Bottom Line
Die Strategie, ein IT-Portfolio zusammenzukaufen und Bestandskunden zu melken, ist nicht neu. Schon Computer Associates (CA) hatte um den Jahrtausendwechsel ein großes Portfolio zusammengekauft und in klingende Münze verwandelt. 2018 schloss sich der Kreis: Broadcom, der Halbleiterhersteller, übernahm CA – und damit ein neues Geschäftsmodell. Daher sind IT-Organisationen gut beraten, sich im IT-Markt auf ähnlich gelagerte Fälle einzustellen. Egal, mit welchen Maßnahmen sie gegensteuern – die Betonung liegt auf „rechtzeitig“.
Daran ändern auch Initiativen wie die Beschwerde des Voice-Anwenderverbands bei der EU-Kommission im Mai 2025 nichts. Betroffene IT-Organisationen dürfen kaum davon ausgehen, dass Broadcom einlenkt und seine Bezahlmodelle kundenfreundlicher gestaltet. Zumindest ist der organisierte Widerstand ein gutes Zeichen. Selbst die Bundesregierung hatte 2024 zur Broadcom-Strategie ausgeführt: „Die enormen Kosten für die Übernahmen sollten dabei durch eine gezielte Ausnutzung der Kundenbindung (Lock-in-Effekt) überkompensiert werden, indem den Kunden hohe Preise aufgezwungen wurden, ehe sie auf Alternativen umsteigen konnten.“
So viel ist sicher: Vendor Lock-in ist zwar erklärbar, aber Organisationen können sich rechtzeitig einen Zweitschlüssel für Notfälle beschaffen.