Markt & Sourcing

IT-Sourcing: Kognitive Verzerrungen

von Dr. Jakob Rehäuser

Vertragsverhandlungen zwischen IT-Einkauf und Providern werden oft von kognitiven Fehlschlüssen bestimmt. Wer sich nicht mental und mit Informationen auf die Situation vorbereitet, zahlt langfristig Lehrgeld.

 

Menschen denken nicht wie Mr. Spock oder Sherlock Holmes, wenn sie Entscheidungen treffen: stets logisch, überlegt und reflektiert. Menschen entscheiden in den seltensten Situationen rein nach objektiven Kriterien, weil sie gewissen „kognitiven Verzerrungen“ unterliegen. Diese im Englischen auch als „Cognitive Biases“ bezeichneten Einflüsse treten bevorzugt in Situationen auf, in denen schnelle, intuitive Entscheidungen gefragt sind – etwa Kaufentscheidungen oder Vertragsverhandlungen. Das Gehirn kann nicht alle vorhandenen Informationen gewissenhaft prüfen, weshalb es auf Faustregeln – vermeintliche Best Practices – zurückgreift. Und das Gehirn spart gerne Energie.

IT-Sourcing-Verträge besser verhandeln

Kein Wunder, dass Unternehmen versuchen, diese Effizienz für sich zu nutzen: Sie schnüren spezielle Angebote, bei denen Menschen schon mal danebengreifen. Mit gravierenden Folgen vor allem bei langlaufenden und komplexen Entscheidungen mit Hebelwirkungen. Da IT-Service-Provider zumeist Profis ins Rennen schicken, fällt es unerfahrenen Verhandlern schwer, eine starke Gegenposition aufzubauen. Dabei geht es ausdrücklich nicht um die Verhandlungskompetenzen der Einkäufer an sich, sondern um Details der inhaltlichen Ausprägung eines IT-Abkommens wie Volumina, Komplexitäten, Service Level und Pönalen. Wer die Folgen seiner subjektiven Wahrnehmung kennt, kann schwierige Verhandlungen erfolgreicher führen und bessere Ergebnisse erzielen.

Die bekanntesten kognitiven Verzerrungen mit potenziellen Folgen für das IT-Sourcing sind:

Sunken-Cost Fallacy: Weil bereits Unsummen (Manntage oder Euro) in die gemeinsame Partnerschaft investiert wurden, tendiert der Auftraggeber dazu, den Vertrag seines Providers zu verlängern. Schließlich war es schon teuer genug. Zudem setzt die menschliche Natur auf Stabilität und damit auf den Status quo. Kurzfristige Effekte zählen mehr als mögliche langfristige Erfolge.

Verfügbarkeitsheuristik: Hier wiegen leicht verfügbare Informationen schwerer als reale Daten. Berichten Medien etwa häufig von Ransomware, fallen andere Angriffsvektoren wie Innentäter aus dem Bewusstsein. Speziell in intransparenten Märkten kommt es bei Vertragsverhandlungen daher auf die Verfügbarkeit präziser Daten an.

Confirmation Bias: Menschen wählen bevorzugt Informationen aus, die zu den eigenen Vorstellungen passen und die eigenen Annahmen bestätigen. Um den eigenen Standpunkt zu stützen, werden anderslautende Meinungen umgedeutet, damit sie in das eigene Weltbild passen.

Dunning-Kruger-Effekt: Dieser Bias besagt, dass Unwissenheit oft das Selbstvertrauen und die Selbstüberschätzung fördert. Im Gegenzug werden kompetente Menschen leichter unterschätzt. Dies untergräbt die Fähigkeit, eine gute Verhandlungsstrategie aufzusetzen und die Gespräche im eigenen Sinne zu beeinflussen.

Endowment-Effekt: Menschen wertschätzen Produkte, die sie bereits „besitzen“: etwa die Probefahrt im Pkw mit Vollausstattung, ein hübscher Klickdummy oder kostenlose Probemonate. Diesen Bias können sich jedoch auch interne IT-Organisationen zunutze machen, um externe Wettbewerber aus dem Feld zu schlagen.

Verlustaversion: Diese kognitive Verzerrung steht – wie auch der Status-quo-Effekt – Veränderungen im Weg, denn das Streben nach Verlustvermeidung ist größer ist als die Anziehungskraft möglicher Gewinne. Somit beeinflusst sie das Risikoverhalten von Menschen – der ungeliebte IT-Provider darf noch ein paar Jahre liefern, weil man befürchtet, dass ein anderer IT-Dienstleister vielleicht noch schlechter performen könnte.

What you see is all there is: Mit der Aufmerksamkeitsillusion begrenzen wir den eigenen Entscheidungs- und Verhandlungsrahmen. Sie führt dazu, dass bislang unbekannte Optionen meist nicht bei einer Entscheidung berücksichtigt werden. Unternehmen können dem beispielsweise vorbeugen, indem sie verschiedene IT-Sourcing-Szenarien mittels eines morphologischen Kastens identifizieren und vollständig beschreiben sowie einen Konsens über die beste Variante erzielen.

Framing-Effekt: Durch die Ankerheuristik lassen sich viele Menschen unbewusst beeinflussen: Die explizite Nennung einer Zahl kann einen gedanklichen Anker setzen, an dem sich die Gegenseite unterbewusst orientiert. Wer den Wert richtig setzt, treibt den Preis in die gewünschte Richtung. Beispiel: Zusätzlich zu einem Server für 1.000  Euro und einem Server für 1.500 Euro wird ein neues Modell für 3.000 Euro pro Monat angeboten. Nun entscheiden sich deutlich mehr Kunden für die mittlere Variante und steigern so den Umsatz – analog Gold, Silber und Bronze als Service Level.

Der IKEA-Effekt: Wer selbst Zeit und Energie in einen Service steckt, fühlt unterbewusst einen größeren Wert. Dies betrifft speziell IT-Organisationen, die lange Zeit mit Dienstleistern zusammenarbeiten und maßgeblichen Anteil an der Ausgestaltung von Leistungen haben.

Survivorship Bias: Problemanalysen auf Basis falscher Grundlagen führen in die Irre – aber Menschen befassen sich eher mit erfolgreichen Cases als mit Problemen. So stimmen unzufriedene Kunden per se seltener bei Umfragen zur Kundenzufriedenheit ab als zufriedene Nutzer. Das verzerrt die tatsächliche Stimmung: „Alles im grünen Bereich.“

 

Verzerrungen sind normal, sorgen aber für schlechtere Ergebnisse in IT-Sourcing-Verhandlungen. Schließlich erschweren sie die Fähigkeit, seine Positionen im Verhandlungsverlauf zu bewerten und korrigieren, selbst wenn dies zu besseren Ergebnissen führen würde. Um den kognitiven Autopiloten abzuschalten, müssen Unternehmen im Vorfeld ihre Einschätzungen und Erwartungen kritisch hinterfragen. So können sie erkennen, in welche Richtung sie der Verhandlungspartner manövrieren will. Dabei hilft eine valide Informationsgrundlage über aktuelle IT-Marktpreise, aber auch das Wissen über marktübliche Ausprägungen von IT-Services – Zahlen aus den vorherigen Jahren oder Golfplatz-KPIs haben hingegen einen negativen Effekt auf das Ergebnis.

Dr. Jakob Rehäuser

Dr. Jakob Rehäuser

Der Wirtschaftsinformatiker Dr. Jakob Rehäuser ist seit über 25 Jahren in renommierten Organisationen als IT-Managementberater tätig. Seine inhaltlichen Schwerpunkte liegen auf den Gebieten IT-Sourcing, Vendor- und Contract-Management sowie IT-Governance.

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